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Gestern wurde mein Zimmer gebraucht, was aber nicht heißt, dass sie mich raus ließen. Nö, ich bekomme den letzten Platz in einem 2+1-Zimmer. Zwei alte Männer sind schon da, ich reiß den Altersschnitt „etwas“ runter.

Reinhold ist erst seit kurzem hier. OP, Beobachtung, dann darf er demnächst heim. Lehrer war er, sonst kriegt man nicht viel aus ihm raus. Aber quasseln kann er am Telefon trotzdem, wie ’ne Klatschbase. Inzwischen muss sein halbes Dorf wissen wieso, weshalb und warum. Reinhold erzählt die selbe verkackte Story je!des! Mal! gleich!
Beschweren kann er sich auch: Weil sein Telefon einen Euro Bereitstellung kostet! Dass das Ding scheppert! Wie laut es im Aufwachraum war! Dauernd käme da einer, da hätte man man ja gar! kei!ne! Ru!he! …

Sein blödes Telefon klingelt schon wieder! Ich kann zwischendrin aufs Klo gehen und Sekunden zählen: Wenn ich wieder komme, weiß ich genau, an welcher Stelle seiner Scheißgeschichte er gerade ist. Klappt wirklich. Wie deprimierend.

Als Reinhold mal aufs Klo muss, meint Peter „Der hätte Telefonist werden sollen!“ „Und?“, frag ich, „haste mal mitgezählt?“ „18!!“ sagt er, wie aus der Pistole geschossen, „Wo ich da war!“. Dann hat Peter nur sieben Anrufe verpasst, als er bei der Dialyse war… Zeit für meine Schmerzmittel.

Peter ist übler dran, der ist schon fünf Monate hier drin. Ihm geht’s öfter sehr dreckig. Heute Nacht mussten sie ihn beatmen und an einen Monitor hängen. Mitgekriegt hab ich das nicht, ich hab geschlafen, wie ein Stein. Er hat ernsthaft schiss, hier nie mehr auf den eigenen Füßen rauszulaufen. Das nahe Weihnachten macht die Sache nicht einfacher, er würde gerne bei seinen Enkeln sein.

(swg)

„Sind sie Wach?!…“, ‚Ja, total, ist’s schon vorbei?‘ wollte ich sagen, kriege aber nur ein Krächzen zustande, auf das ich dann Husten muss. Bestimmt vom scheiß Beatmungsschlauch gereizt. Wenigstens ist mir nicht übel von der Narkose. Hey, der zweite Gedanke schon positiv. Weiter so! Die Fragestellerin ist schon wieder entschwunden, bevor ich fokusieren konnte. Keine Ahnung, wie lange ich noch unten war, aber man schiebt mich alsbald wieder in den alten Rumpelkasten-Fahrstuhl und mein Zimmer.

Ich glaub, ich hab im Fahrstuhl ’nen total blöden Blondinenwitz erzählt. Lachend hat die blonde Ärztin zur schwarzhaarigen Nachtschwester gesagt „Der’s wiedor oukey!“

(swg)

Schneller als ich vermutet hätte, bin ich hier gelandet: im Krankenhaus. Blöde Sache. Die Ärztin der Notaufnahme mit dem schmalen Mund macht noch schmaler Lippen. Wieso ich so lange gewartet habe? Naja, so machen Männer das halt? Kämpfend oder tot, dazwischen nix?! Nichtmal ein Schmunzeln. Der Bereitschaftsarzt käme gleich und guckt sich’s nochmal an. Hm. Inzwischen füllen wir ein bisschen Papier aus, ich muss wohl hier bleiben.

Herr Dr. P. ist so, jung wie ich. Er sieht aber mindestens so müde aus, als hätte er zwei Leben lag nicht geschlafen. Ich hab ihn wohl von seinem ersten Wetten dass…? seit Jahren weggeholt, wie er, mit trotzdem freundlichen, Lächeln erwähnt. Dann wird er ernst und erklärt mir, was jetzt alles schief gehen kann, und welchen Horror sie an mir vor haben. Tolle Aussichten. Na, jetzt ginge es gleich rauf auf Station, die Anästhesie hätte dann um elf Zeit und ich wär ja dann auch nüchtern. Da kann’s losgehen. – Öh, losgehen? – Ja, losgehen! Mit der OP! – Oh…Pee…

Ich komme allein auf ein Doppelzimmer. Abgenutztes Weiß schmückt die Wände, das Mint der Stühle hebt weder sich ab noch meine Stimmung. Halb elf schicke ich Maria heim. Scheißgefühl.

Es ist ein Scheißgefühl, als mich die Nachtschwester kurz nach elf durch die Gänge schiebt. Oh, die fernsehbekannte Opferperspektive auf vorbeziehende Neon-Deckenleuchten. Mit dem alten Fahrstuhl rumpeln wir runtern zum Folterkeller OP.

Götter Ärzte in grün nehmen mich in Empfang. Ich hab Schiss. Nein, das ist gelogen. Ich hab scheißverdammte Riesenangst. Die Ärztin fragt mich, ob’s mir gut geht. – Wär ich dann hier?! Sie lacht, geht. Ich würde jetzt gerne den Rückzug antreten. Zu spät, der Anästhesist kommt. Vorsichtshalber erwähne ich meine letzte Aspirin nochmal. Macht wohl nix. Schade. Er erklärt mir die weitere Prozedur, dann komme ich schon in den OP.

Unter den spacigen Leuchten werde ich für die OP hinhergerichtet. „So, jetzt gibt’s erstmal was zu Beruhigung…“ sagt’s und drückt mir irgendwas über den Zugang in meine Armvene. „Dreht’s ein bisschen?“ „Hahem“ „Ich geb ihnen bissel Sauerstoff über die Maske…“ weggewand „Mach mal dreißig Prozent… – und tief einatmen“, fasziniert höre ich, wie mein Herzschlag sich bei jedem Einatmen extrem verlangsamt um beim Ausatmen etwas zu beschlenigen. „Nochmal schön tief einatmen…“
pip…pip…pip……piep……piep………piep………*

(swg)


Es ist etwas eng in der Vinothek des Westin Bellevue, wo wir unsere literarische Reise beginnen. Nach einem Witz über den Papst lernen wir bei Jaromir Konecny etwas über Tantrasex und Brokkoliblähungen. Vielleicht etwas mehr, als ich in meinem Alter schon wissen wollte. Aber mit 56 sieht das eventuell anders aus… wenigstens legen das die glucksenden Lacher der „Damen älteren Semesters“ nahe.

Der ganze Pulk stürmt nun hinaus, um in der Kälte dieser letzten Oktobernacht den Bus zu erwarten. Die Eile war umsonst. Wir grübeln, ob es sich lohnt, zu einer anderen Station zu laufen – lang genug, dass der Bus wohl eh gleich anrollt. Wahrscheinlich sind dort eh genau so viele Leute. Der Bus rollt heran.

Mit etwas Verspätung erreichen wir die Treberhilfe. Leider haben wir Pech und die Lesung hat schon begonnen. Glücklicherweise ist der Text nicht soo lang und Regina Felber liest gleich noch einmal „Unter den Obdachlosen von Whitechapel“ von Egon Erwin Kisch. Guter Text, leider holpert sie etwas durch. Eigentlich kann sie super lesen, hat sie früher schon unter Beweis gestellt.

Die nächste Station ist nur ein paar Meter weg am Albertplatz: in der Villa Augustin, dem Erich Kästner Museum. Matthias Klösel liest ganz großartig Hermann Hesses „Die Autorenlesung“. Ohgottohgott ;) Endlich, der erste dieses Abends, der sich voll in seinen Text legt. Die Figuren enstehen tatsächlich vorm inneren Auge. Soetwas zu können finde ich ja eine bemerkenswerte Fähigkeit.

Ihn würde ich gerne mal in einem Hörbuch hören – vielleicht hat er ja schon? Keine Zeit nachzugucken, die Hatz geht weiter.

Auch zum Neustädter Bahnhof sind es wieder nur ein paar Schritte. Wir warten nicht erst auf den Bus, der prompt an uns vobei fährt. Trotzdem kriegen wir noch Sitzplätze. Roland Florstedt liest uns „Prager Fracht“. Mathias Kopetzki hat eine erste Reise nach Prag aufgeschrieben, die unfreiwillig in einem Sarg stattfindet… Ganz nett und lustig. Passt auch zu Bahn, so komfortmäßig… Nee, bin ich garstig!

Da wir bis zum Bus noch etwas Zeit haben, suchen wir im Bahnhof nach etwas Essbarem. Es hat aber nur Burger King auf. Dann muss Schokolade reichen. Der Bus kommt.

Weit draußen auf der Großenheiner Straße liegt das Tanzwerk. Hier müssen wir am Eingang die Latschen ausziehen und dürfen dann auf Gymnastikmatten platzen. Schulturnhallenflair. So dreht sich dann auch Haseks Text um Schülerstreiche. Eigentlich hab ich immer Spaß an Haseks Texten gehabt. Aber Mit dem „Spiritistischen Nachmittag“ werde ich einfach nicht warm. Soviel Mühe sich Frau Köhler auch gibt,

es dehnt sich auch der Text.

Auch im Sudhaus der Hausbrauerei Schwingenheuer wird es nicht besser. Die Stammtischgeschichtchen über „Leli“ sind nix für mich. Dafür lass ich mir ein Rotes von Lenin (so der Spitzname des Brauereibesitzers) zapfen. Köstlich! Seine Biere kriegt man in einigen Dresdner Kneipen.


Jetzt kommt ein kleines Highlight: Das Militärhistorische Museum ist seit diesen Jahres neu eröffnet. Kein geringerer als Daniel Liebeskind hat hier Hand ans Gebäude gelegt. Aus der alten Fasade ragt jetzt ein gigantischer gläserner Keil. Getuschel hinter uns empört sich, ‚Wie man denn so eine tolle Fasade mit so einem hässlichen Glaskeil verunzieren könne…‘. Dresden halt.

Ich find’s ganz nett und die Symbolik auch ok: 42° spitzer Winkel entsprechen der Anflugformation der Bomber auf Dresden.
Oben von der Plattform kann auf das Kriegsziel schauen.

Nix für Mutti: man kann durchs Gitter runter gucken.

Drinnen setzt der Keil sich fort, keine Wand ist gerade. Keine Senkrechte oder Waagerechte, die Orientierung bietet, ein leichtes Gefühl von Schwindel bzw. Seekrankheit stellt sich ein.

Auch der Text ist etwas besonderes: Geschrieben von Bernd Hohlen, dem Veranstalter der Shuttlelesungen, geht es um die Kriegsväter, ihre Heimkehr und dem vor den anderen verborgenen Grauen, dass sie erlebt haben. Phillipp Lux liest, fesselnd.

Bis Anfang 2012 ist der Eintritt im Militärhistorischen Museum Dresden übrigens frei.

Wir zwangsgammeln noch ein wenig im Foyer herum, der Bus ist gerade weg. Damit wär uns der Zahn gezogen, dass wir die Runde heute ganz schaffen.

Passend geht es weiter mit einer Backenzahnbehandlung in der Marcolini-Klinik

Karel Čapek hat „Zahnschmerzen“ geschrieben, gelesen hat es Hanns-Jürgen Weber – Eine falsche Entschuldigung mehr, nicht zum Zahnartzt zu gehen ;)

Im Saitenwechsel (Gitarren und Geigenbau au der Prießnitzstraße) treffen wir auf jemanden Besonderes: Steven Merting. Die meisten müssten ihn aus Wolffs Revier kennen.

Er liest von Jaroslav Zak „Töne strömen durch die Welt“ (aus Der verkohlte Pythagoras).

Zum Schluss statten wir dem Dresdner Sezession 89 e.V. / Galerie 3
einen Besuch ab. Von Max Brod hören wir „Frühling in Prag“ (aus Wege des Kubismus).

Na sowas, Helga Werner liest. Mit ihr hatte ich schon 2006 die Prager Nacht beschlossen.

Schön war’s. Endlich einmal wieder. Ich kann es immer wieder nur empfehlen.

(Maria, swg)

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