prager Nacht
Meine Güte, welch ein Zufall. Hätte ich den Morgen nicht so ewig und faul in der Koje verpennt – in Gesellschaft des Radios – wäre mir die Prager Nacht glatt entgangen: Figaro hat’s mir erzählt. Nachdem die Shuttle-Lesungen letztes Jahr mangels Sponsor ausfallen mussten, finden sie jetzt, wie früher, im Rahmen der Tschechischen Kulturtage statt. Alle Lesungen brachte man wieder an ungewöhnliche Orten zu Gehör, die Texte haben zu ihnen jeweils einen Bezug, stammen aber alle von tschechischen Autoren.
Zoo – Afrikahaus
Ich habe meine Reise im Elefantenhaus im Zoo begonnen, mit einer Safari in Afrika. Jirí Hanzelka (Reisebuchautor) unternahm zwischen 1947 und 1950 mit seinem Partner Miroslav Zikmund eine Reise durch Afrika, Südamerika und Mittelamerika im legendären Stromlinien-PKW »Tatra T-87«. Über siebenhundert Rundfunkreportagen wurden darüber ausgestrahlt. — Im Hintergrund hört man das Scharren der Elefanten (der kleine schläft aber schon) und das elektrische Knacken aus dem Zitteraalbecken, düsteres Licht zaubert eine Lagerfeuer-Atmosphäre. Gelesen hat Regina Felber. Sie kenne ich schon aus der Neustädter Markthalle.
Botanischer Garten – Sukkulentenhaus
botanischer Garten
Der Bus bringt mich in den Botanischen Garten. Feuchte Wärme empfängt mich im Gewächshaus. Irgendwie habe ich mich noch nicht warm gehört. Mehr als einen Gartenfanatiker nehme ich nicht mit.
Der Bus lässt etwas auf sich warten, verspätet sich aber nicht so, dass ich es nicht zum nächsten Ort schaffe. Überhaupt staune ich ob des perfekten Timings. Ich habe nicht eine Lesung und auch nie einen Bus verpasst. Perfekt. Das Publikum ist vergleichsweise alt – studentisch sind nur ein paar angehende Juristen, sonst nur Altvolk. Überfüllt ist auch kein Ort, im Bus kann man immer sitzen. So ist das zwar angenehm, aber sicher kein Plusgeschäft.
Landgericht – Gerichtssaal
Im Landgericht
Im Gericht schauspielert der erste: Hanns-J. Weber. Ein Text von Jaroslav Hašek „Der Prozess des Herrn Havlena“ – wie sich einer selbst verklagt. Grandios. Am bekanntesten dürfte Hašek durch den Braven Soldat Schwejk sein.
Blockhaus – Festsaal
Festsaal im BlockhausMein erster bedrückender Text dieses Abends: Ein Telefonat zwischen Breschnjew und Dupček, aufgezeichnet am 13. August 1968. Am 21. August 1968 beendeten einrollende russische Panzer den Prager Frühling. Die Herren Genossen trauten sich schon damals nicht über den Weg – die des Großen Bruders im besonderen nicht…

Quartier an der Frauenkirche – Lounge I
Quartier an der FrauenkircheComedy im Stile von Night Wash: Jaromir Konecny im Geflecht seiner Beziehung. Gebt dem Mann sein Pilsener Urquell. Am 7.11. kann man ihn auch im Bärenzwinger erleben.

Polizeidirektion – Gewahrsam
Beklemmend. Anders ist es kaum zu beschreiben. Eine Intensität durch den Vortrag von Daniel Minetti wie ich sie schon im Stasi-Knast mit Albrecht Goette und Egon Erwin Kischs „14 Dinge in Sing Sing“ spüren konnte. — Julius Fučik, von den Nazis im Mai 1943 hingerichtet, hofft in seiner Zelle „Reportage unter dem Strang geschrieben“ auf einen Sonnenaufgang. Die Stahlgitter und Milchglasfenster machen es nur zu deutlich fühlbar. Es bleibt für mich der stärkste Text an diesem Abend. Mit Knast und Text hab ichs irgendwie…
Einrichtungshaus – Wohnzimmer
Magazin
Mathias Kopetzki hab ich irgendwie nicht wiedererkannt, dabei habe ich ihn schon im Hygienemuseum gesehen. Mit Daniela Nering schauspielert er sich großartig durch den Text von Karel Holany „Vernissage II“ – mit dem ich leider nicht viel anfangen kann. So schreibe ich hier auch besser nichts drüber.
Arthotel – Lounge II
Leicht absurd wird die Asche eines verstorbenen im Garten seiner ehemaligen Wohnung verstreut. Das Buch zum Ausschnitt erscheint erst noch – Jaoslav Rudiš‘ „Grandhotel“.

Tod = Ende. Auch für meine dritte Prager Nacht, es ist fast halb eins. Einen kompletteren Überblick kann man im Archiv der Shuttle-Lesungen bekommen. Ich freu mich auf’s nächste Jahr. (swg)